"Joachim Berthold wurde 1917 in Eisenach geboren. Er entstammt einer im oberbayerischen Rosenheim ansässigen Goldschmiedefamilie. Nach Absolvierung des humanistischen Gymnasiums erlernte er in den Jahren 1936 bis 1941 an der Kölner Werkkunstschule und der Münchener Akademie die Grundlagen seines Berufes. Von 1941 bis 1945 Soldat, arbeitet und lebt er in Oberaudorf in Oberbayern, wo er bei Kriegsende ansässig wurde.
Seit es das deformierte und das abstrakt verrätselte Menschenbild auch in der Plastik gibt und diese Neuerungen als der wahre Ausdruck unserer Zeit empfunden werden, ist die intakte Menschengestalt, wie sie Joachim Berthold in seinem plastischen Werk vor uns hinstellt, nicht mehr selbstverständlich. Im Gegenteil: eben diese "natürliche", von Verfremdungen und Verzerrungen freie Auffassung des Menschen steht bei einer einseitig orientierten Kunstkritik seit langem im Geruch klassizistischer Abgestandenheit. Die vielbesprochene "Krise der heutigen Menschen" läßt jenes andere Menschenbild - das verquälte und verzerrte, das verstümmelte und zerstückte, das wie verbrannt, vermodert, skelettiert aussehende oder auch das technoid konstruierte - als der hintergründigen Wirklichkeit des Menschen von heute weit angemessener erscheinen (...)
Wenn Joachim Berthold diesen epigonalen Hang zur Deformation nicht mitmacht, so gewiß nicht deshalb, weil ihm die Gefährdung des Menschen unbekannt wäre. Werktitel wie "Klage", "Trauer", "Leid". "Gebeugter" sagen unmittelbar aus, welche Vorstellungen vom menschlichen Verhängnis ihn bewegen. Über diese thematischen Formulierungen hinaus ist allen Werken Bertholds ein nachtseitig-ernster Grundzug eigentümlich. Wie diese Figuren - Mann, Frau, Jüngling, einzeln, zu Paaren, in Gruppen dastehen, sitzen, hocken, liegen -, immer verhalten und verharren sie wie Menschen im Dunkel: lautlos, angespannt horchend, Vermutungen hingegeben, ins Ungewisse fragend; mit aufgerissenen Augen dennoch wie blind die einen; fast gesichtslos - denn wozu Augen in lichtloser Trübnis? - die andern; kleine, nahe am Körper sich vorschiebende Bewegungen der Arme und Hände; vorsichtiges Zurücknehmen und Bergen jeder Geste unter dem schützenden Gewand (...)
Der Blick zurück auf Bertholds Menschenbild aber zeigt: soviel innere und äußere Bedrängnis den Menschen auch verbiegt und verkrümmt, niederbeugt oder erstarren läßt - sie zerstört ihn nicht, solange er sich "zusammennimmt". Dieser ganz alltägliche Ausdruck wird in den Gestalten unmittelbar anschaulich, (...)
(Ausst.-Kat. München: Jacob Reisner, Joachim Berthold, Städtische Galerie München, 1961).

Foto: Ausst.-Kat. Berlin: Joachim Berthold, Haus am Lützowplatz Berlin, 1990, Abb. S. 97.