Lot 85
Goeschen-Rösler, Paula von
1875 Schlierbach, Baden-Württemberg - 1941 Wurmsdorf bei Söllhuben
"Das Geheimnis" · um 1906.
Feder, koloriert auf Papier auf Tapete montiert · 36,9 x 46,1 cm (Blattgröße).
Unten links monogrammiert: PR (P und R verbunden).
Rückseitig bezeichnet: Paula Rösler - München (sign R.) | Das Geheimnis farb. Federzeichnung.
Original Jugendstilrahmen.
Provenienz: Privatbesitz, Leipzig.
Anmerkung: Seltene frühe Arbeit der Künstlerin aus der Jugendstilzeit. "1904 beginnt Röslers enge Freundschaft zu Waldemar Bonsels, dem Verfasser der Biene Maja. 1905 bringt die Künstlerin ihren ersten Gedichtband "Falter" mit eigenen Illustrationen im Verlag E. W. Bonsels heraus. Die Vignetten bevölkern filigran gezeichnete japanische Schmetterlinge, Libellen, Spinnweben, Zweige, die in ihrer linearen Vielfalt äußerst phantasievolle grafische Muster bilden. Die Leichtigkeit der schwebenden Insekten harmoniert mit der dichterischen Sprache der Lieder. Im folgenden Jahr, 1906, publiziert sie nochmals im Verlag E. W. Bonsels den Lyrikband "Fahana" und 1909 bei A. R. Meyer "Karfreitag". Bereits bei den Illustrationen des Gedichtbands "Falter" zeigt sich die besondere grafische Begabung der Künstlerin, ihr Gespür für zarte Linienstrukturen, feine Binnenzeichnung und für Bildräumlichkeit." (Angelika Burger, Ideale Verbindung von Liebe zur Natur und Zeichentalent, in: Ab nach München!, Künstlerinnen um 1900, Süddeutsche Zeitung GmbH, München 2014, S. 135f.)
"Es ist der Jugendstil in vollendeter Ausführung, der dem Betrachter mit dem Werk „Das Geheimnis“ von Paula Rösler begegnet. Zarte Linien fügen sich zu einer feinen Binnenzeichnung aus floraler Ornamentik und einer bedeutungsschwangeren Symbolik.
Im Zentrum steht eine verschmitzt lächelnde Frau, die auf einer floralen Kugel balancierend die Hände auf ihr Herz gelegt hat. Sie trägt ein Geheimnis in sich, doch es zu lüften obliegt allein dem Betrachter. Einen Hinweis vermögen vielleicht die beiden Tierschwärme links und rechts der Darstellung zu geben. Die Fledermaus als Wesen der Nacht gilt als rätselhaft und mysteriös, wird als Bote des Unheils oder als Wächter vor dieser wahrgenommen. Die Libelle hingegen besticht durch ihren schlanken, zerbrechlichen Körper und ihre Eleganz, die in einem starken Kontrast zu ihrem erbarmungslosen Jagdinstinkt stehen. Damit wird sie auch gerne als Symbol der „Femme Fatale“ – der verführerisch, verhängnisvollen Frauenfigur – aufgefasst. Zusammen mit dem Schmetterling gilt die Libelle als Wappentier des Jugendstils.
Was mag sich wohl hinter dem Lächeln der balancierenden Unbekannten verbergen, die Paula Rösler ganz bewusst als Hauptmotiv ihrer Darstellung wählt? Es ist keine einfache Darstellung der Frau als ein Symbol der Schönheit und der Harmonie – wie so oft in der Kunst. Paula Rösler geht weiter, verweist auf das Innenleben ihrer Protagonistin und auf ihren freien Willen. Dies entspricht in Gänze ihrer eigenen, jungen Geschichte: vom Auszug aus dem elterlichen Haus, um ab 1902 in München Kunst zu studieren – gegen den Willen des Vaters, der fortan den Kontakt mit ihr gänzlich abbricht – sowie von dem beschwerlichen Leben einer Frau in einer Zeit, in der man von gleichen Chancen für Alle nur leise flüsterte."
Franz E. Gailer